Mittwoch, 31. Juli 2019

Das Land der goldenen Spitzen

Überall, wirklich überall sind in Myanmar goldene Spitzen zu sehen. Kleine, große und riesige. Eine einzelne, einige zusammen und viele auf einmal. Alte, neue und welche die gerade noch im Aufbau sind. Am Anfang haben wir uns noch über jede dieser goldenen Spitzen gefreut, die neben, hinter und vor uns aufgetaucht ist. Irgendwann haben wir nur noch über diese Überflutung von goldenen Spitzen gelächelt, bis wir sie dann irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen haben. Diese turmartigen, markanten Bauwerke werden Pagoden genannt und sie dienten ursprünglich dazu, die Sarira (Gebeine) von Siddhartha Gautama aufzubewahren, damit die Gläubigen dort den Buddha verehren konnten. Später wurden auch die sterblichen Überreste bedeutender Mönche in Pagoden aufbewahrt. Im Buddhismus spielen visuelle Elemente eine wichtige Rolle für die Verbreitung der religiösen Lehre. Auch wurden anfangs zur Verbreitung des buddhistischen Glaubens die Pagoden mit Schnitzereien und Gravuren verziert, wobei die Schnitzereien natürlich auch eine Dekoration darstellten. Eine Pagode besteht aus vier Teilen. Dem Erdpalast, in dem die Überreste beherbergt wurden und werden. Wir waren auch an einem Ort, wo sich noch in solch einer Pagode die Haare eines bedeutenden Mönchs befanden. Über dem Erdpalast befindet sich ein Sockel, der die Basis der Pagode bildet und das Zentrum der buddhistischen Welt symbolisiert. Über dem Sockel befindet sich der Pagodekörper, der Haupt- und auch bekannteste Teil einer Pagode. Dies sind all die goldenen Spitzen die weit über das ganze Land zu sehen sind und den Buddha symbolisieren. Die Spitze einer Pagode soll das Himmelreich des Buddhas symbolisieren. Deswegen muss jede Pagode eine Spitze haben, egal in welchem Baustil sie gebaut wurde. Die vielen kleinen Glöckchen, die an der Spitze und oft auch an anderen Punkten der Pagode befestigt sind, sind dafür da, um das Bauwerk vor den Vögeln zu schützen. Wir konnten sie auf der Straße oft im Wind bimmeln höheren. Pagoden befinden sich oft in Klöstern und waren somit für uns ein Zeichen für einen möglichen Schlafplatz. Die Klöster waren meist reich verziert und für unser Auge sehr kitschig. Ein ganz wichtiges Element der buddhistischen Kunst sind Buddhastatuen und so waren auch diese an solchen Orten im Überfluss aufgestellt. Klein, groß und riesig. Einzelne, mehrere oder tausende. Wir sind an einer 77m großen Buddhastatue vorbei gefahren. Es wird gesagt, dass das Errichten einer Pagode Glück bringt und das es das Böse verbannt. Daher gibt es auch so unglaublich viele. Und sie sind alle durch Spenden finanziert. Entweder hat eine einzelne Person genügend Geld zu Errichtung einer Pagode oder die Gemeinde sammelt Spenden. Dazu stellen sie sich mit großen Schüsseln rechts und links an die Straße, klimpern mit dem Geld, machen laute Musik an und stellen ganz viele Fahnen auf. Wir sind jedes Mal winkend an ihnen vorbei gefahren und es hat sich ein bisschen wie bei einem Wettkampf angefühlt, wo die Menschen reihenweise an der Seite stehen und dich anfeuern.

Schlammige Abkürzung

Wir mögen Abkürzungen. Sie sind meist fern ab vom Highway und daher nicht so befahren. Außerdem sind es keine Touristen-Pilgerstraßen, auf denen man alle Kilometer lang einen Reisenden trifft und man sieht Dinge, die man am Highway nicht sehen kann. Die Infrastruktur ist oft nicht so gut ausgebaut wie am Highway und es kommt schon mal vor, dass man nichts zu Trinken und zu Essen findet. Es kann auch vorkommen, dass die Straße immer schlechter wird, oder sogar ganz aufhört zu existieren. Sand und Schlaglöcher sind aber auch irgendwie befahrbar. Doch eins kann ich Euch sagen: Sand, Schlaglöcher und Regen in einem sind NICHT befahrbar. Wir haben das letzte Mal, eine dieser Abkürzungen erwischt, wo die Straße immer schlechter wurde und irgendwann nur noch aus festgefahrenem Sand bestand. Zu unserem großen Pech war der Sand auch noch sehr lehmig. Dies wiederum merkten wir allerdings erst, als es angefangen hat zu regnen und da war es schon längst zu spät zum Umkehren. Wir haben uns dort also wortwörtlich “festgefahren“. Es gab nicht nur kein Zurück mehr, sondern auch kein Vorwärts mehr. Wartet mal kurz, ich springe in der Geschichte noch mal kurz etwas zurück. Wir haben uns gemeinsam dazu entschieden, eine Abkürzung fern ab von dem Highway zu nehmen. Diese Abkürzung war in derden Karte allerdings auch als Highway bezeichnet, doch was wir nicht wussten, die Abkürzung wurde gerade neu ausgebaut und war eine einzige Baustelle. Etwa 70 km lang haben sie den Asphalt entfernt und mit Sand aufgeschüttet. Als uns nun die bessere Straße verließ und wir geradewegs in die Mega-Baustelle hinein fuhren war es warm, sonnig und trocken. Der Sand war fest und gut befahrbar. Hin und wieder gab es zu unserer Überraschung ein kleines Stückchen Asphalt und so rollte es dann Kilometer für Kilometer mal gut und mal weniger gut. Nachdem wir unseren Wasservorrat bei einem der Baustellenknotenpunkten aufgefüllt hatten verließ uns jede Zivilisation. Nur noch wir, Berge, Baustelle, Hitze, Sand und Nichts. Das war entmutigend und wir hatten keine Ahnung, wo wir heute schlafen sollten. Wir waren natürlich auch sehr schlecht vorbereitet und hatten nur ein kleines bisschen ungekochten Reis dabei hatten. Wie ein Geschenk vom Himmel tauchte plötzlich ein Handymast auf und wo ein Funkturm ist, ist auch ein Dorf. Es ist nicht wie in Deutschland, dass der Turm möglichst weit weg von allem stehen muss, hier kann man den Turm einfach in den Vorgarten stellen. Doch zu unserer großen Enttäuschung war es ein Fehlalarm. Kein Dorf, kein Haus, kein Essen. Uns blieb nichts als weiterfahren. Immer weiter, bis doch ein paar Häuser/Hütten auftauchten. Abgeschnitten von jeglicher Zivilisation warteten sie darauf, das der “Highway“ endlich fertig wurde. Doch der Manager den wir getroffen haben, meinte es braucht noch zwei Jahre bis sie mit dem Projekt durch sind. Wir haben in dem kleinen Ort einen Tempel entdeckt und steuerten nun direkt auf den Eingang zu. Arne klopfte an der Tür und kurz darauf kam ein verschlafener Mönch an die Tür und kippte sich erstmal ein bisschen Wasser ins Gesicht. Er war sehr freundlich, bat uns herein, gab uns Tee und Kekse und so wie er merkte, dass wir hungrig waren gab er uns noch süßes Brot. Er legte uns eine Matte und zwei Kissen unter das Haus, sodass wir uns ausruhen konnten. Das Haus war komplett aus Holz gebaut und stand auf Stelzen, sodass darunter genügend Platz für uns und die Räder waren. Heute Nacht mussten wir nicht schwitzen. Morgens ging es dann mit einem Frühstück gestärkt weiter. Bei dem nächsten Shop der uns über den Weg lief, kauften wir erstmal Kekse für den nächsten Notfall. Die Menschen freuten sich über uns, gaben uns Tee und einen typischen Teeblätter-Erdnuss-Snack. Bei einem kleinen Restaurant bekamen wir frische Mango und waren sehr guter Dinge. Es war immer noch bestes Wetter und wir kamen den Umständen entsprechend gut voran. Der Manager des Bauprojektes kam mit seinem Auto vorbei und hielt an. Er wollte uns scheinbar vor dem kommenden Regen warnen und er ist auch extra zurück gefahren, wie er betonte, da es dem nächst regnen wird. Wir sahen nun auch die Wolken, die sich langsam über die Berge schoben, doch wir sahen noch nicht so richtig das Problem. Also fuhren wir ahnungslos weiter, um möglichst lange noch im Trockenen zu fahren. Die Wolken kamen immer näher und es sah sehr mystisch aus und da auf einmal war der Regen da. Wie aus Kübeln entleerte sich der Himmel und wir rannten Schutz suchend unter den nächsten Dachvorsprung. Wir schauten uns das Wetter an und warteten was nun passieren wird, immer noch die Warnung des Managers im Hinterkopf. Es passierte nichts. Kein Auto, kein Truck, kein Mensch. Ein einzelner Scooter quälte sich durch die Schlammschicht, die sich auf der Oberfläche der Straße gebildet hatte. Das Hinterrad schlidderte abwechselnd nach links und rechts, sodass der Fahrrer Probleme hatte sich im Sattel zu halten. Das ermutigte uns nicht gerade. Dennoch haben wir die kleine Regenpause genutzt, um weiter zu fahren. Vorsichtig haben wir unsere Räder auf die Straße geschoben. Unter uns fühlte sich die Schlammschicht an wie eine Eisbahn und ganz vorsichtig haben wir uns in die Sättel gesetzt. Unter unseren Schuhen haben sich riesige Klumpen Matsch gebildet, die wir nun auf die Pedalen wuchteten und ganz vorsichtig los fuhren. Es lief gut, kurzzeitig haben wir sogar Hoffnung gehabt. Es hatte aufgehört zu regnen, wir kamen langsam voran und unsere Stimmung war gut. Sie war so lange gut, bis wir auf vier auf der Straße stehende Fahrzeuge stießen. Zwei standen auf unserer Seite vom Fluss und zwei auf der anderen Seite. Jetzt verstanden wir auch, warum der Manager zurück gefahren ist. Denn jetzt gab es kein Durchkommen mehr. Auch für uns? Das Wasser hatte sich tief in die Straße gefressen und das von den Bergen herabströhmende Wasser nahm kein Ende und war zu einem reißenden Fluss geworden. Schlammlawinen machten das Durchkommen unmöglich und je länger wir warteten, desto geringer wurde unsere Chance doch irgendwie den “Fluss“ zu überqueren. Arne sah wohl eine Möglichkeit an der Seite vorbei zu kommen, da dort das Wasser nicht ganz so reißenden war. Doch er kam nicht weit. Seine Füße und Reifen gruben sich, wie im Moor, in den Schlamm und er schien für einen kurzen Moment vom Schlamm verschluckt zu werden. Irgendwie schaffte er es wieder zurück zu kommen aber die Hoffnung in seinen Augen war verschwunden. Ratlos schauten wir uns an. Wir hatten absolut keine Ahnung was wir machen sollen und Erfahrungen mit solchen Situationen hatten wir erst recht nicht. Anders sah es mit den beiden einheimischen Truckfahrern aus, die kurzerhand aus ihrem Wagen stiegen, ihre Schlappen auszogen und durch den Schlammfluss warteten. Sie suchten den Weg nach großen Stolpersteinen ab und halfen uns die Räder hinüber zu tragen. Wir hatten natürlich noch unsere Schuhe an, die nun mit Schlamm und Wasser voll liefen. Sie fühlten sich nun noch schwerer an und waren uns keine große Hilfe. Doch wir konnten weiter fahren. Die Klumpen unter den Schuhen wurden immer größer und langsam fingen auch die Reifen an mit ihrem Profil den Schlamm einzusammeln. Aus langsam wurde irgendwann immer schneller, bis sich gar nichts mehr drehte. Halb schiebend, halb tragend kamen wir bei einem Baustellenstop an. Die Jungs halfen uns die Räder vom Schlamm zu befreien, sodass wir weiter konnten. Wir mussten es auch nur noch bis zu dem nächste Tempel schaffen, den wir sogar auch schon sehen konnten. Doch dies stellte sich als eine weitere Herausforderung heraus. Erneut fingen die Räder an den Schlamm einzusammeln und erneut waren die Räder blockiert. Wir waren nur noch wenige hundert Meter vor dem Tempel, doch ich war kurz davor aufzugeben. Beim Schieben rutschte der hintere Reifen ständig weg und das Rad fraß sich langsam immer tiefer in den Schlamm. Eine nette Bande junger Erwachsener kam uns zur Hilfe und schob mit uns die Räder aus diesem Schlamassel. Und dann kam der Rückschlag. Wir können bei dem Tempel nicht bleiben, sondern müssen bis ins nächste Dorf fahren bzw. schieben/tragen. Nein, dass konnte nicht sein. Wir versuchten es noch einmal, doch es stellte sich heraus, dass der Tempel gar nicht bewohnt war und keine Menschenseele dort war. Die Männer halfen uns eifrig die Räder erneut vom Schlamm zu befreien, sodass wir wenigstens bis ins nächste Dorf kamen. Sehr hilfsbereit brachten sie eimerweise Wasser, pulten den Dreck unter den Schutzblechen hervor und bemühten sich die Räder blitzblank aussehen zu lassen. Doch bis dies einmal wieder der Fall sein wird, müssen wir wohl noch lange warteten. Denn als wir mit viel Mühe im nächsten Ort ankamen (ein Ort besteht an dieser Straße lediglich aus wenigen Häusern), waren die Fahrräder vor lauter Schlamm nicht mehr zu erkennen. Ein Tempel war für uns in dem Ort ebenfalls nicht zu erkennen, also fragten wir die Familie mit dem größten Haus, ob wir bei ihnen waschen, essen und schlafen könnten. Wie sich später herausstellte, sind wir bei dem Bürgermeister gelandet und es war gar kein Problem, dass wir eine Nacht bleiben. Naja, es war wohl schon ein Problem, da wir wieder unseren Pass zeigen mussten und der Bürgermeister telefonieren musste. Doch wir hatten Glück und der Bürgermeister war auf unserer Seite und schickte uns nicht in ein Hotel. Was auch gar nicht möglich gewesen wäre. Alle halfen uns die Sachen zu waschen und den Dreck aus allen Ritzen zu kratzen. Wir wurden reich bekocht, haben einen wunderschönen Sonnenuntergang beobachtet und durften unter einem großen mit Blüten bestecktem rosanem Himmelschleicher übernachten. Am nächsten Tag fragten wir uns, wie wir hier nun weg kommen sollten. Fahrrad fahren war keine Option, da es in der Nacht erneut geregnet hatte und die Straße eine einzige Matschgrube war. Bleiben war auch keine Option, da es wohl auch die nächsten Tage nicht besser werden würde. Und wir waren ja immer noch illegal dort. Wir dachten vielleicht auf einen Truck oder Pickup warten und dann den Daumen raus halten ist eine gute Idee und da kam auch schon jemand vorbei gefahren. Doch dieser fuhr nicht weiter und so ist auch dies gescheitert. Es kamen auch keine weiteren Vehikel vorbei, da es auch nicht möglich war, auf dieser Straße zu fahren. Wir waren etwas verzweifelt und fragten die Familie, ob es irgendjemanden in der Nähe gibt, der uns für Geld weiter fahren würde. Doch in dieser Gegend hatte auch niemand ein Auto. Wofür auch, wenn es keine richtige Straße gibt. Wir saßen also ratlos auf der Treppe und starrten auf die Straße. Es sah so aus, als ob wir versuchen müssen zu schieben. Großartige Aussichten. Wir haben uns schon eine Woche lang auf dieser Straße unsere Fahrräder schieben sehen, als einer aus der Familie die Idee hatte uns mit dem Trecker weiter zu fahren. Wir machten einen Luftsprung. Würden sie uns wirklich mit dem Trecker fahren? Und da holten sie auch schon einen Trecker aus einem Schuppen hervor und versuchten ihn erstmal in Gang zu bekommen. Wir hörten wie er immer wieder aus ging und beteten, dass sie es hinbekommen würden. Und da endlich hörten wir ein regelmäßiges Knattern und mit neuem Schwung luden wir die Räder auf den Hänger. Wir hatten nun vier Stunden Fahrt vor uns. Was nicht gerade weich und angenehm war, sondern hart und holprig. Doch uns war alles egal, Hauptsache wieder eine befestigte Straße unter den Rädern. Wir hätten alles dafür gezahlt, doch die Familie ließ uns nicht einen Kyat zahlen. Danke noch mal für Eure Hilfe! Auf einer asphaltierten Straße stiegen wir vom Trecker und waren überaus froh. Doch nur für einen kurzen Moment. Denn jetzt mussten wir erstmal Arnes Scheibenbremsen wieder zum Laufen bekommen, denn im Schlamm wurden diese völlig zerstört und ohne Bremse die Berge hinunter zu fahren ist keine gute Idee. Mit schleifender Bremse ging es nun bergab. So weit so gut. Doch mit schleifender Bremse bergauf zu fahren macht nicht lange Spaß und so saßen wir schon wieder am Straßenrand und versuchten die Bremsen einzustellen. Irgendwann waren wir beide so erledigt von der Bremse und den ganzen steilen Anstiegen, dass wir uns ins Gras legten und alle Viere von uns streckten. Kann das sein? Hören wir da wirklich einen LKW den Berg hoch fahren? Nein, dass ist nicht möglich. Uns hat den ganzen Tag auf diesem “Highway“ nicht ein größeres Auto oder geschweige denn ein Truck überholt. Wir fühlten uns verloren, denn schon wieder hatten wir nicht genug zu Essen und wir steckten mitten in einem Nationalpark. Doch da war dieses Geräusch. Ich bin aufgesprungen und habe mich an die Straße gestellt und tatsächlich kam da ein Truck um die Ecke. Freudig habe ich Arne zugewunken und im selben Moment auch schon den Fahrer angehalten und gefragt ob er uns mitnehmen würde. Er nickte, wir wuchteten gemeinsam die Räder hinten drauf und stiegen ein. Wir fragten nicht wo die Fahrt hin geht, wir nutzten einfach diese geniale Gelegenheit wieder in die Zivilisation zurück zu kommen. Und tatsächlich fuhr der LKW bis in die nächste große Stadt, wo wir uns erstmal für zwei Tage in ein Hotel eingemietet haben. Wahnsinn, morgens steckten wir noch ganze 70km im Schlamm und abends lagen wir im Hotelbett und wussten, dass es die nächsten Tage nur noch auf einem gut ausgebauten Highway weiter geht. Wir fahren gerne auch mal einige Tage durchs Nichts, aber dann doch bitte gut vorbereitet und auf Straßen/Wegen, die befahrbar sind und nicht die Fahrräder zerstören.

Samstag, 20. Juli 2019

Fortsetzung

Nachdem wir also einige Kilometer gefahren sind, um aus der Reichweite der Polizei zu entkommen, haben wir insgeheim schon wieder nach einem alternativen Schlafplatz Ausschau gehalten. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir eigentlich nicht in das Hotel wollten, welches eh nicht auf unserem Weg lag. Doch auf dem Weg, den wir fahren wollten, gab es in den nächsten Kilometern kein Hotel. Wir hatten uns eigentlich auch gesagt, dass wir keine Einheimischen fragen wollen, da wir keinen in Schwierigkeiten bringen wollen. Doch irgendwo mussten wir ja schlafen und so kam es, dass Arne mich auf eine Kirche aufmerksam machte und ich dachte, er denkt auch, dass dies ein guter Platz wäre. Ich habe also kurzerhand angehalten und die Familie, die scheinbar zur Kirche gehörte gefragt, ob wir für die Nacht bleiben könnten. Später stellte ich heraus, das Arne mir die Kirche nur zeigen wollte und gar nicht die gleichen Hintergedanken hatte wie ich. Doch es war zu spät, wir hatten schon schleunigst unsere Räder hinter das Haus geschoben, damit sie von der Straße aus nicht zu sehen sind und saßen nun auf der Terrasse versteckt hinter der Wäsche, die noch über der Leine hing. Der Mann ist direkt nach unserer Ankunft weggelaufen, um offensichtlich etwas zu erledigen. “Bitte hol nicht die Polizei“, beteten wir. Und genau in dem Moment entdeckten wir auf der Wäscheleine einige Klamotten in den Farben des Militärs und wir ahnten das Schlimmste, nämlich das wir direkt in die Arme eines Gesetzesvertreters gelaufen sind. Natürlich war zu unserem Glück auch noch ein Gruppenübungsplatz direkt gegenüber des Hauses. Ein Motorrad auf der Straße wurde langsamer und bog auf den Hof ab. Drei Menschen stiegen ab und kamen auf uns zu. Eine schwangere Frau, ihre Freundin und ein Kind. Sie sahen ganz und gar nicht aus wie die Polizei. Wir atmeten erleichtert auf und da kam auch schon unser Gastgeber angerannt. Er hatte nur seine Nachbarin zur Hilfe geholt, da sie ein paar Sätze Englisch konnte und er wollte uns fragen, ob wir auch Abendessen möchten und ob wir Vegetarier sind. Er schnitt uns zwei Mangos auf und zeigte uns einen Klassenraum in einem Holzhaus auf Stelzen (typisches Haus in Myanmar in wasserreichen Gegenden). Schließlich saßen wir im Dunkeln am kniehohen Tisch und haben gemeinsam mit der Familie (Vater, Mutter und Sohn) zu Abend gegessen. Es war dunkel, so wie in der ganzen Kleinstadt, da es gar kein Strom gab. Jeder konnte mit einer Batterie zu einer Ladestation fahren und sie gegen Geld aufladen, aber das Geld fällt ja nicht vom Himmel. Wir waren froh über die Dunkelheit, da wir so nicht entdeckt werden konnten. Und außerdem ist der Sternenhimmel umwerfend gewesen. Morgens sind wir extra früh aufgestanden, um möglichst noch vor den Soldaten auf den Beinen zu sein, doch als wir aus dem Fenster schauten liefen sie bereits schon in großen Gruppen über den Trainingsplatz. Zu unserer Erleichterung waren sie allerdings damit beschäftigt über Baumstämme zu klettern und an Seilen zu hängen und somit hatten sie keine Augen für uns. Unser Gastgeber angelte für uns noch ein paar frische Mangos vom Baum und vier kleine Enkelkinder wuselten um uns herum. Mangos müssen vorsichtig vom Baum gepflückt werden, denn wenn sie herunter fallen platzen sie auf und sind matschig und ungenießbar. Eine Mango hing so blöd, dass Arne mit seiner Größe aushelfen musste und so kam es, dass Arne seine erste Mango pflückte, indem er sie mit einem langen Stab herunter stieß und elegant mit der anderen Hand auffing.

Donnerstag, 18. Juli 2019

Eins zwei drei Polizei

Unsere erste Nacht in Myanmar haben wir an einem buddhistischen Kloster verbracht. Gleich bei dem ersten Kloster, an dem wir angehalten und nach einem Schlafplatz gefragt haben, hat der Mönch ja gesagt. Also eigentlich lief es so ab: Wir begrüßten ihn mit einem “Hello“, legten unsere Handflächen aufeinander und legten unseren Kopf zum schlafen darauf. Der Mönch hat daraufhin mit dem Kopf genickt und mit der Hand zu einem Gebäude gezeigt. Auch alles weitere lief mit Handzeichen ab. Wo die Dusche ist bzw. Wasser zum waschen, ob wir etwas essen wollen und wo die Toiletten sind. Doch wie stellt man pantomimisch eine Toilette dar? Einfach “Hände waschen“ zeigen geht nicht, da die Waschbecken nicht mit in der Toilette sind und es auf Englisch sagen hat auch nicht geholfen. Naja irgendwie haben wir alles heraus finden können und die Nacht vor dem Altar, neben einem Mönch geschlafen. Die zweite Nacht wollten wir wieder bei einem Kloster verbringen, da es dort wohl immer einen Platz zum Schlafen, etwas zu Essen und eine Dusche gibt. Außerdem ist es günstiger als ein Hotel und wir haben viel mehr Kontakt zu den Einheimischen. Ich muss hier noch kurz anführen, dass es in Myanmar ein Gesetz gibt, welches besagt: “Ausländer MÜSSEN ausschließlich in lizenzierten Hotels übernachten“. Wir haben es aber natürlich erstmal ohne Hotel versucht. Gegen späten Nachmittag sind wir also wieder zu einem Kloster gefahren, es war sehr ruhig und nur ein einzelner Mönch saß über seinen Büchern. Dieser verstand uns nicht und schickte uns weiter. Bei dem nächsten Kloster wurden wir von vielen kleinen und größeren neugierigen Jungens begrüßt, alle trugen sie ein rotes Gewand und einen rasierten Kopf. Wie kleine Mönche. Ein Mann, der wohl etwas in diesem Kloster zu sagen hatte, versuchte unser Anliegen zu verstehen und anschließend schien er eine Lösung zu suchen. In der Zwischenzeit versorgte uns eine der Lehrerinnen mit Tee und Kuchen und obwohl wir uns eigentlich nicht verständigen konnten, haben wir alle sehr herzlich gelacht. Auf einmal fingen die Kinder an sich davon zu machen und möglichst aus dem Blickfeld zu kommen und prompt in dem Augenblick bemerkten wir auch ein vorfahrendes Auto. Die Lehrerinnen sagte: “Polizei“, doch die beiden Männer, die aus dem Auto stiegen, sahen für uns nicht wie zwei Polizisten aus. Der Mann in barfuß kam auf uns zu und fragte nach unseren Pässen. Wir zeigten ihm unser Visum, woraufhin er uns sagte, dass wir hier nicht bleiben könnten und für die Nacht in ein Hotel gehen müssen. Dass wussten wir ja eigentlich auch, aber dass wir so schnell von der Polizei eingesammelt werden würden, hatten wir nicht gedacht (ich kann Euch jetzt schon mal verraten, dass wir noch ein zweites Mal eingesammelt wurden und es dann gelassen haben, an Klöstern zu fragen). Wo sollen wir also jetzt hin? In 15 km lag wohl das nächste Hotel, aber es war gar nicht auf unserem Weg. Die Sonne ging langsam unter und uns lief die Zeit davon. Zuerst fuhren wir einige Kilometer weiter, um uns von den Polizisten zu entfernen. Wir fühlten uns ein bisschen komisch und wussten nicht so recht was wir jetzt machen sollten. Einen Schlafplatz brauchten wir auf jeden Fall. Wir wollen auch keinen in Bedrängnis bringen, indem wir irgendwo illegal übernachteten, aber mal eben mit dem Rad noch zum nächsten Hotel fahren war auch nicht wirklich drin. Was wir letztendlich gemacht haben, erzähle ich Euch im nächsten Eintrag.

Montag, 15. Juli 2019

Bundesstaat Manipur

Der Bundesstaat Manipur gehört ebenfalls zu den sogenannten sieben Schwesterstaaten Nordostindiens und liegt im Osten an der Staatsgrenze zu Myanmar. Es war der letzte indische Bundesstaat den wir durchquert haben. Es hat sich allerdings nicht sehr indisch angefühlt, da dieser Bundesstaat erst nach dem zweiten Weltkrieg zu Indien gehörte und so noch viele eigene Tradition auch. Im Zentrum Manipurs liegt das Imphal- oder Manipur-Tal mit der Hauptstadt Imphal, in der unser Gastgeber wohnt. Das Imphal-Tal wird zu allen Seiten von Bergen umgeben, sodass wir bei der Durchquerung des Tales zu allen Seiten einen Blick auf die Berge hatten und natürlich durften wir einmal runter ins Tal fahren und mussten wieder hoch fahren um rüber nach Myanmar zu kommen. Im Zweiten Weltkrieg wurde Manipur während der japanischen Besetzung Myanmars (Birmas) zeitweilig zum Frontgebiet. Und wer es, so wie wir auch noch nicht wusste, in Imphal wurde die letzte Schlacht der Briten geschlagen. Ihr könnt ja mal eure Geschichtskenntnisse auf den Stand bringen ;) Nachdem Großbritannien Indien 1947 in die Unabhängigkeit entlassen hatte, wurde Manipur zunächst unabhängig, schloss sich dann jedoch zwei Jahre später an Indien an. In der Stadt befinden sich noch heute die Ruinen des Palastes von Kangla und es gibt mehrere Denkmäler, die an den Zweiten Weltkrieg erinnern und das Manipur State Museum zeigt in einer Ausstellung Gegenstände und Bilder aus der Geschichte des Bundesstaates Manipur. Unser Gastgeber war ganz bewandert in diesen Themen und hatte selbst eine direkte Verbindung zu dem letzten König in Imphal. Also zeigte er uns das Museum und erzählte uns sehr viel über die Vergangenheit seines Bundesstaates. Er zeigte uns seine Stadt und die umliegenden Berge und (Ur-) Wälder. Drei Viertel der Landesfläche von Manipur sind mit Wald bedeckt und die Regierung Manipurs betreibt aus Gründen der Nachhaltigkeit und Ökologie bewusst eine Politik der Konservierung der Waldressourcen und Beschränkung der Waldnutzung. So dürfen Berghänge ab einer Neigung von 45 Grad nicht mehr bewohnt werden und sie ist für den Wald vorgesehen. Unser Gastgeber hat mit hunderten Freiwilligen tausende Bäume an bereits gerodeten Hängen neu gepflanzt. Auch hat er uns mit zu einem Markt in Imphal genommen, wo es seit eh und je nur Frauen erlaubt ist ihre Ware feilzubieten. Das war schon wieder irgendeine Tradition die er uns nahe gebracht hat. Auch haben wir musikalisch einiges in den Tagen kennengelernt. Er selbst kommt aus einer Künstlerfamilie, war auch schon in Europa auf Tournee und hat uns somit mit Begeisterung einige traditionelle musikalische und künstlerische Vorstellungen gezeigt. Glücklich war auch, dass der Musikwelttag genau in diese Zeit viel und somit das musikalisch-kulturelle Angebot sehr hoch war. Den Abend des Musikwelttages haben wir allerdings nicht mit traditionellen Klängen (die auch eher etwas anstrengend für unsere Ohren waren) ausklingen lassen, sondern mit einem Open Air Rockkonzert. Die Zeit bei unserem Gastgeber und seine Familie war mit Musik, Tradition und Geschichte geschwängert, doch am allerbesten war der Nachmittagssnack. Und da gab es auch kein entkommen. So haben wir jeden Nachmittag einen der vielen leckeren und oft scharfen Snacks aus der Gegend probiert. Davor gab es ein dickes Mittagessen von der Mutti gekocht und danach ein großes ebenfalls selbstgekochtes Abendessen. Natürlich hatten wir auch zum Frühstück schon eine ordentliche Portion. Wir hatten die ganze Zeit nicht einmal Hunger :D Oft saßen wir unter dem Terrassendach und haben gegessen oder wir saßen unter dem Vordach eines Snack-Geschäftes und haben gequatscht. Und dann fing es fast jeden Tag einmal an sehr heftig zu regnen. Also richtig heftig. Der Innenhof war nach nur fünf Minuten überflutet und wenn das Haus nicht auf einen hohen Sockel gebaut währe, würde das Wasser rein laufen. Ein Bild von der “Überschwemmung“, sowie von den anderen Eindrücken aus dieser Zeit habe ich mal für Euch zusammen gestellt.

Samstag, 13. Juli 2019

140 km

Von Kohima aus ging es für uns nach Imphal. Es waren 140 km und somit planten wir dafür zwei Tage ein. Kurzfristig fragten wir einen Tag vor unserer Abreise bei einem Warmshower Gastgeber in Imphal an, ob wir in zwei Tagen vorbei kommen könnten. Dieser antwortet sofort und schrieb am Ende: “Dann bis morgen!“. Warum morgen fragten wir uns, wir hatten ihm doch geschrieben, dass wir zwei Tage brauchen. Er meinte daraufhin nur: “Das schafft man auch an einem Tag, es geht fast nur Berg ab“. Wollen wir die Herausforderung annehmen? Erstmal haben wir das Höhenprofiel gecheckt, und da sah es ganz und gar nicht so aus, als ob es nur Berg ab ging. Also sind wir am nächsten Morgen erstmal ganz entspannt nach dem Frühstück losgefahren. Und natürlich ging es nicht nur Berg ab, sondern erstmal 35 km Berg auf. Den Vormittag haben wir also damit verbracht Berg auf zu fahren. Dann wurde die Straße so schlecht, dass ich das Rad fast in die Ecke geschmissen hätte (ich hasse es auf schlechten Straßen Berg ab zu fahren). Daraufhin haben wir in einem der vielen “Reis Hotels“ erstmal Reis gegessen. Wir haben nach einem Gästehaus Ausschau gehalten und erstmal noch eine Pause bei einer Aussichtsplattform eingelegt. Wir hatten erst 50 km geschafft, doch da wurde auf einmal die Straße ganz unerwartet richtig gut. Und natürlich hatten wir beide von Anfang an den Ehrgeiz die Strecke an einem Tag zu schaffen, haben es aber jeweils beide nicht dem anderen gesagt. Und als die Straße perfekt wurde und es nun wirklich sehr lange Berg ab gehen sollte, war klar, dass wir die Herausforderung annehmen. Wir traten also noch mal so richtig in die Pedalen um die 90 km am Nachmittag noch zu schaffen. Natürlich konnte nicht alles perfekt laufen. Das wäre auch zu schön gewesen und so richtig Glück mit dem Wind, Wetter und der Straße haben wir eh sehr selten. Irgendetwas steht immer gegen uns. Heute war es der Regen. Es fing am späten Nachmittag heftig an zu regnen. Wir durften aber keine Zeit verlieren und so zogen wir uns also unsere Regenjacken über und fuhren geradewegs gegen die Regenwand. Immer wieder mussten wir reißende Flüsse überqueren, die über die Straße flossen, da dass Wasser aus den Bergen nirgendwo anders abfließen konnte. Vor uns war plötzlich ein riesiges Chaos auf der Straße, große und kleine Dinge lagen auf der Straße verteilt, Menschen zogen und zerrten an irgendwelchen Dingen und andere fegten etwas von der Straße. Je näher wir kamen, desto besser konnten wir erkennen, was sie dort machten. Es war ein Graben, den die Bewohner die letzten Wochen mit ihrem Müll vollgestopft hatten, der nun verstopft war und überlief. Der gesamte Müll floss nun über die Straße und verteilte sich großflächig, die Menschen standen knietief im Müll und versuchten den Graben wieder frei zu bekommen, damit das Wasser über den Graben ablaufen konnte. Im nächsten Dorf wurde eine ganze Hütte mitgerissen und schwamm in Einzelteilen auf der Straße. Aber das alles war nur ein normaler Regen in der Regenzeit und daran muss man sich halt gewöhnen. Einen leichten Sommerregen kennen die hier nicht. BUUUM. Wir sind beide gleichzeitig zusammen gezuckt und haben uns umgeschaut wo der Knall herkam. Ich bin sofort stehen geblieben, da sich mein Fahrrad komisch anfühlte und als ich auf meinen Reifen schaute war da keine Luft mehr drin. Mein Mantel war geplatzt. Im strömenden Regen habe ich nun mein Rad unter das nächste Garagendach geschoben und angefangen meinen Schlauch und Mantel auszutauschen. Prompt in diesem Moment kam der Besitzer nach Hause und wollte gerne mit seinem Auto unter das Garagendach. Er konnte netterweise aber etwas warten und bot uns sogar noch Wasser an. Der Regen hatte inzwischen etwas aufgehört, aber dafür fing die Sonne an unter zu gehen. Für uns gab es jedoch kein zurück mehr und so knipsten wir unsere Lampen an und strampelten weiter. Auch die Straße wurde wieder etwas schlechter und so mussten wir immer wieder durch die riesigen Pfützen hindurch fahren. Wir konnten sie oft erst sehr spät sehen, da es ja dunkel wurde. Slalom fahren war also nicht richtig möglich. Die Tiefe der Pfützen konnte man auch nicht einsehen und ob dort Steine drin liegen erst recht nicht. Es war einfach nur Augen zu und durch und hoffen. So wurden doch hin und wieder die Füße nass und der Reifen rutschte weg und man drohte umzukippen. Wenn das alles gewesen wäre okay, aber da waren noch die Autos die uns entgegen kamen. Sie spritzten uns von oben bis unten mit dreckigem, sandigem Pfützenwasser voll und es sammelte sich nach und nach eine Sandschicht im Gesicht. Dann waren da noch die Motorräder mit einem Matschauge, die man erst spät erkannte und am schlimmsten waren die Trecker und Bagger, die ohne jedes Licht fuhren und über die gesamte Straße pflügten. Ich hätte genauso gut die Augen zu machen und blind fahren können. Gott sei Dank, kam dann ein beleuchteter Straßenabschnitt, der gut befahrbar war und uns die letzten Zehn Kilometer bis zu unserem Gastgeber bringen sollte. Tssss.. Natürlich sollte es nicht so einfach sein. Tssss.. Ich hielt an, schaute auf meinen Reifen und fluchte leise. Noch einen Platten. Diesmal war kein Garagendach in der Nähe, dass uns Schutz vor dem erneuten Regen geben konnte. Es war weit und breit nichts. Nur Dunkelheit und Nässe. Und ein kleiner Pflanzenladen, der schon geschlossen hatte. Aber wir hatten keine andere Wahl als dort unser Glück zu versuchen und tatsächlich fanden wir dort einen kleinen Übergang, der zwar die Hälfte des Regens hindurch ließ, aber immer noch besser war als nichts. Die Besitzer wohnten selbst auch in dem Laden und ließen uns eintreten, gaben uns Stühle und einen heißen Tee. Das tat gut. In der Ecke knisterte ein Feuer und draußen prasselte der Regen. Ich zog den Nagel, den ich mir eingefangen hatte aus dem Reifen und montierte den Reifen mit dem neuen Schlauch. Vom heißen Tee gewärmt und vom Zucker im Tee gestärkt konnten wir nun erneut die letzten Zehn Kilometer antreten. Wir haben uns nur noch einmal kurz Verfahren, sind beinahe in eine rasante Autoverfolgung geraten und wurden von einem Hund angegriffen. Zwei Moped Fahrer hatten es aber mitbekommen und haben direkt den Hund mit ihrem Moped abgeblockt und eine ältere Dame kam mit ihrem Stock gelaufen, um den Hund zu verscheuchen. Danke. Jetzt mussten wir nur noch unseren Gastgeber finden. Natürlich sind wir prompt an seinem Haus vorbei geradelt und mussten noch einmal zurück fahren. Am Ende des Tages lagen wir sehr glücklich, warm geduscht und voll gegessen unter dem Mückennetz in einem eigenen Zimmer und wünschten uns eine gute Nacht.

Mittwoch, 10. Juli 2019

Bundesstaat Nagaland

Auch Nagaland ist einer der sogenannten „Sieben Schwesterstaaten“, die den Nordosten Indiens ausmachen. Die Hauptstadt dieses Bundesstaates ist Kohima und war eines der Tagesziele auf unserem Weg nach Myanmar. Unser Gastgeber hatte uns vor der 70 km langen Bergstraße hoch nach Kohima (die Stadt liegt 1382m über dem Meeresspiegel) ausdrücklich gewarnt und uns ans Herz gelegt, einen Bus zu nehmen. Wir sind also zum Busbahnhof und haben zwei Tickets für zwei Euro gekauft. Es hieß es gibt keinen Busplan und so mussten wir warten bis der nächste Bus abfuhr. Die Busfahrer können selbst entscheiden wann sie abfahren wollen und so warten sie so lange, bis auch der aller letzte Sitz im Bus besetzt ist. Wir hatten Glück und einer der Busse war schon fast voll. Wir wuchteten also die Fahrräder auf's Dach, verteilten unsere 7 Taschen im ganzen Bus in jeder noch freien Ecke, neben Obstkisten, Gepäckstücken, Pflanzen und Hühnern. Für uns selbst fanden wir in der aller letzten Reihe noch einen Platz. Eingezwängt zwischen den Sitzen konnte die Fahrt am offenen Fenster beginnen. Schon nachdem wir den Busbahnhof verließen schlugen unsere Knie heftig gegen die vordere Sitzreihe. Jedes weitere Schlagloch bedeutet ein weiterer Schlag gegen die Knie. Ich setzte mich also so aufrecht hin wie ich nur konnte, um meine Knie zu schonen, doch bei Arne brachte auch das aufrechte Sitzen nichts. Er klemmte sich also ein Stück Stoff zwischen Knie und vordere Sitzlehne. Doch auch so hätte es nicht lange gedauert und die Knie wären blutig gewesen. Wir fragten also unsere Sitznachbarn, ob wir so tauschen könnten, dass Arne beim Mittelgang sitzt. Nun waren wir so gut wie möglich für die holprige Fahrt gewappnet. Die kompletten 70 km waren eine einzige Baustelle und die Straße war nicht einmal richtig befahrbar. Ein Schlagloch neben dem anderen und jedes Mal hüpften wir auf der letzten Reihe 30cm nach oben. Es war nicht möglich irgendetwas anderes zu machen, außer sich irgendwo ganz dolle festzuhalten. Ich musste ständig an unsere Räder denken, die auf dem Dach hin und her hüpften und hoffte nur, dass sie es überleben werden. Ob mein Körper die sechs Stunden Hüpftour überlebt war mir in diesem Moment egal, denn bei unserem Gastgeber in Kohima konnten wir uns erstmal ein paar Tage ausruhen. Doch erstmal mussten wir dort ankommen und dafür mussten wir noch durch tausende Schlaglöcher durch und an vielen Abgründen vorbei. Dazu kam noch ein starker Regen, der die Schlaglöcher zu Seen machte und die sandige Straßenoberfläche zu einer rutschigen Schlammschicht machte. Der Bus rutschte nun über die Straße, fuhr in Schräglage durch die Löcher, da man die Tiefe nicht mehr einsehen konnte und wich dabei noch dem Gegenverkehr aus. Alles ohne Scheibenwischer. Die Aussicht war schön. Berge, Bäume, grüne Waldflächen (im Jahr 2013 waren nach offiziellen Angaben etwa 55 % der Landesfläche mit Wald bedeckt), dunkle Wolkenbilder, große Kirchen auf den Bergspitzen, Regenbögen, bunte Häuser an den Berghängen, und LKW's, die in den Graben gerutscht sind. Die Hälfte der Zeit habe ich mich nicht getraut raus zu schauen. Arne dagegen war deutlich entspannter, doch meine Sitznachbarin war noch viel tiefenentspannter. Sie schief nämlich die ganze Fahrt und wachte nur bei ganz großen Schlaglöchern auf, die uns einen halben Meter hoch warfen. Auch alle anderen Köpfe neigten sich nach und nach nach unten und schaukelten gemeinsam im Takt. Mein Hintern war wundgesessen und ich war froh, als wir heile oben angekommen sind. Kohima liegt so, dass man von jedem Haus eine wunderschöne Aussicht auf die Berge hat. Dafür geht es aber innerhalb der Stadt auch viel Berg auf und Berg ab. Überall waren große Kirchen zu sehen und dabei versuchte eine Kirche die Andere in ihrer Größe und Schönheit zu übertreffen. Am Sonntag läuteten die Glocken unermüdlich, die Straßen waren voll mit Menschen, die mit ihrer Bibel unter dem Arm und in die schönsten Kleider gekleidet zur Kirche eilten. Da wurde gelacht und gequatscht und die parkenden Autos versperrten die Straßen. Wie herauszuhören ist, ist in Kohima das Christentum die vorherrschende Religion. Nach der Volkszählung 2011 sind 88 Prozent der Einwohner des Bundesstaates Nagaland Christen. Nagaland ist damit der indische Bundesstaat mit dem höchsten christlichen Bevölkerungsanteil und die Christen stellen die Bevölkerungsmehrheit dar. Der hohe christliche Bevölkerungsanteil ist Folge der Christianisierung der Naga durch amerikanische Missionare ab dem späten 19. Jahrhundert. Auch hat sich damit der “freie heilige Sonntag“ herausgebildet. Alle Geschäfte haben am Sonntag geschlossen und sogar der Großteil der Restaurants. Sogar unter der Woche pflegen die Menschen “gesunde“ Öffnungszeiten. So standen wir abends um 18 Uhr vor verschlossenen Türen, als wir noch schnell etwas für das Frühstück einkaufen wollten. Dass ist uns in ganz Indien noch nicht passiert. Dort fängt das Leben auf der Straße erst richtig an, wenn es dunkel wird. Da wird Essen gekocht, Obst und Gemüse verkauft und laut gehupt. In Kohima war alles anders. Überhaupt war es gar nicht mehr richtig indisch. Das wird wohl daran liegen, dass Nagaland in der Vergangenheit nicht zu Indien gehörte und noch heute wird Nagaland überwiegend von Naga besiedelt. Dabei handelt es sich um einen Oberbegriff für eine Gruppe von indigenen Völkern des indischen Nordostens. Die verschiedenen Naga-Stämme sprechen unterschiedliche Sprachen (2001 waren es 14 unterschiedliche Sprachen) und eine gegenseitige Verständigung ist unter den Sprechern der unterschiedlichen Naga-Sprachen nicht möglich. Daher ist die Amtssprache des Bundesstaates Englisch, was für uns ein großer Vorteil war. Auch setzen sich die Naga in ihrer Esskultur stark von den Indern ab. So ist der größte Bestandteil einer Mahlzeit Fleisch. Und dabei essen sie alles was nicht bei drei auf dem Baum ist. Schweine, Hühner, Kühe, Hunde (ist von vielen heiß beliebt), Frösche, Fisch, Katzen und und und. Doch was sagt die indische Regierung dazu, dass sie Kühe verspeisen? Nichts. Es wird einfach akzeptiert und da Nagaland so weit weg von dem zentralen Teil Indiens liegt, bekommt es auch kaum jemand mit. Zudem liegt es schon immer in der Tradition der Naga und auch wenn sie ihre Unabhängigkeit an Indien verloren haben, haben sie dennoch ihr Identität beibehalten und kämpfen noch heute für ihre Wieder-Unabhängigkeit. Die Menschen dort tun sehr viel für ihren Bundesstaat und so sieht man überall Schilder, die darauf aufmerksam machen, dass sie grün bleiben wollen/werden wollen, dass sie also eine plastikfreie Umwelt schätzen und fördern wollen. Es ist eine der ersten Gegenden, wo nicht so viel Müll herum liegt, und die mit einem Müllabfuhr-System ernsthaft versuchen das Problem in den Griff zu bekommen. Wir haben uns für einige Tage in Kohima nach den Strapazen der Busfahrt ausgeruht. Es hat sehr viel geregnet und wenn wir raus wollten/mussten, um etwas zu essen, dann waren wir innerhalb von fünf Minuten völlig durchnässt. War das etwa die Regenzeit? Ich kann Euch jetzt schon mal verraten, dass wir bis heute kaum etwas von der Regenzeit mitbekommen haben. Naja, die Einheimischen haben sich auf jeden Fall über den Regen gefreut, denn für sie bedeutete es, dass sie ihren Wasservorrat wieder auffüllen können. So stand die Mutter unseres Gastgebers den ganzen Vormittag draußen und hat das Regenwasser aufgefangen, in Eimer gefüllt und in einen Raum getragen, der mit dem Wasservorrat für dass ganze Jahr gefüllt war. Kein Regen, kein Wasser. Im ganzen Haus gab es kein fließend Wasser, was bedeutete, es wurde alles mit Eimern erledigt. Duschen, Abwaschen, Wäsche waschen, auf's Klo gehen, Putzen und was noch so im Haushalt anfällt. Da sollte man mal anfangen über unseren Wasserkonsum in Deutschland nachzudenken. Wir nehmen für alles unser Trinkwasser, nutzen es um einmal ein Glas zu waschen und kippen es dann in den Abfluss. Wir haben hier bei unserem Gastgeber dass Wasser vom Wäsche waschen anschließend für die Klospühlung genutzt, um auch jedes kleinste bisschen Wasser zu sparen.

Freitag, 5. Juli 2019

Bundesstaat Assam

Assam liegt im Nordosten Indiens und gehört zu den sogenannten sieben Schwesterstaaten, die nur durch einen schmalen Korridor mit dem Rest des Landes verbunden sind. Die Amtssprache ist Assamesisch und so klangen die Menschen mal wieder völlig anders als nur einige Kilometer zuvor. Ich weiß gar nicht wie viele verschiedene Sprachen wir in unserer Zeit in Indien schon gehört haben, aber selbst wenn wir hunderte verschiedene Sprachen gehört haben, kommt es noch lange nicht an die tausenden Sprachen heran, die es in Indien gibt. Der Großteil Assams gehört zu dem Flusstal des wasserreichsten Stromes in Asien. So ist die Gegend sehr feucht und es wird viel Reis angebaut. Die Reisfelder sind meist überflutet und so können dort neben den Reispflanzen auch kleine Fische leben. Die Menschen stehen Stunden lang knietief im Schlamm/Wasser und sieben die Fische aus dem Wasser, die sie dann anschließend verkaufen, erst trocknen und dann verkaufen oder selbst verzehren. Sie haben auch raffinierte Netz-Systeme mit denen sie die Fische aus den tieferen Gewässern angeln. Die Bevölkerungsdichte Assams ist sehr hoch, wobei sich ein großer Teil der Bevölkerung auf die ländlichen Gebiete konzentriert. Als wir durch die Assam-Gegend gefahren sind, waren überall Menschen, wirklich überall. Einer unserer Gastgeber hat mal gesagt: “Hinter jedem Baum versteckt sich ein Inder.“ Als wir auf schmalen Wegen durch die überfluteten Felder geradelt sind, konnten wir uns beim besten Willen nicht vorstellen, wo man dort leben konnte. Doch die Einheimischen wissen wie man dem Wasser entkommt und bauen ihr Haus auf Stelzen oder auf aufgeschütteten Inseln. Eine nicht unbeträchtliche Minderheit der Einwohner Assams gehört einer Reihe von indigenen Völkern (Stammesvölker) an. Außerdem lebt eine größere Zahl von Einwanderern (aus anderen Teilen Indiens und aus Bangladesch) in Assam. Vor allem die illegale Einwanderung von muslimischen Bengalen aus Bangladesh hat zu einem zunehmenden Maß an Fremdenfeindlichkeit unter der alteingesessenen Bevölkerung Assams geführt, die eine Überfremdung und schleichende Islamisierung Assams fürchten. Dieser Konflikt hat sich wiederholt in schweren Pogromen gegen muslimische Bengalen geäußert. Mit 34 Prozent hat Assam den vierthöchsten muslimischen Bevölkerungsanteil aller indischen Bundesstaaten. In mehreren Distrikten Assams stellen Muslime sogar die Bevölkerungsmehrheit dar. In einem dieser Distrikte, haben wir übernachtet, aber dazu weiter unten. Assam zählt zu den ärmsten und unterentwickeltsten Bundesstaaten in Indien. Gründe für die Unterentwicklung sind eine abgelegene Binnenlage, schlechte Infrastruktur sowie regelmäßige politische und soziale Unruhen. Wir haben von alle dem nicht viel mitbekommen, aber was uns aufgefallen ist, dass die Männer eine Takke (Gebetskappe) trugen und ordentliche weiße Gewänder. Es wirkte teilweise überhaupt nicht mehr indisch und wir haben kaum noch Saris und Bindis gesehen. Ein muslimischer Mann im weißen Gewand und mit weißer Gebetskappe ist mit seinem Motorrad langsam neben uns hergefahren und hat uns mit seinem Freund zusammen ausgefragt. Da es sehr nervig ist langsam nebeneinander herzufahren, haben uns die beiden auf eine Sprite eingeladen. Jetzt war es an uns Fragen zu stellen. Wie heißt ihr? Was seid ihr von Beruf? Wo fahrt ihr hin? Wo wohnt ihr? Wisst ihr wo wir hier in der Nähe einen Schlafplatz finden? Die Antworten kamen so wie wir es gehofft hatten. Sie waren ein Arabischlehrer und ein Soldat (hatten also Geld), sie waren auf dem Weg nach Hause (hatten also Zeit) und wohnten nur wenige Kilometer entfernt. Perfekt für uns zum Übernachten und als der Lehrer dann noch meinte, wir können bei ihm schlafen, war unser Plan, uns selbst einzuladen, aufgegangen ;) Wir freuten uns sehr endlich mal wieder bei einer muslimischen Familie unter zu kommen, da wir doch hin und wieder den Iran etwas vermissen. Wir einigten uns darauf, dass wir uns bei dem Basar in der Nähe ihres Hauses, in 30 Minuten treffen und gaben ihnen noch unsere Nummer. Der Weg war steinig und schwer, aber wir haben es bis zum Basar geschafft. Dort angekommen konnten wir uns noch nicht einmal richtig nach den beiden umsehen, da hatte sich schon eine riesige Menschentraube um uns herum gebildet. Ich übertreibe nicht wenn ich sage es waren etwa 50 Menschen. Kein Wunder, wenn sich noch nie ein Tourist in diesen Ort verirrt hat. Wie auch, wenn es nicht eine befestigte Straße zu diesem Ort gibt. Die Busse hupten und die Fahrer schrien aus dem Fenster, da wir die ganze Straße blockierten und sich nichts mehr bewegte. Alle Augen waren nur noch auf uns gerichtet. Von unseren beiden Gastgebern war weit und breit nichts zu sehen, also nahmen wir die Einladung, auf eine kalte Mandelmilch, an und setzten uns vor einen Shop. Langsam verloren wir die Hoffnung, dass uns die beiden auch wirklich hier abholen und so fingen wir die Leute an zu fragen, ob sie die beiden vielleicht kennen. Natürlich kamen wir damit nicht weiter, doch einer hat sich uns angenommen und wollte uns helfen. Er brachte uns raus aus dem Gedränge. Die ganzen Menschen kamen immer dichter und wir hatten kaum noch Luft zum atmen, und dann führte er uns zu seinem Onkel. Sein Onkel war Bürgermeister und machte gerade auf einer Bambusmatte auf dem Boden unter dem Ventilator seine Mittagspause. Fünf Minuten später saßen wir gemeinsam am Tisch, tranken Sprite und aßen Samosa, Pakora und Papad. Dass wir gar keinen Hunger hatten spielte keine Rolle. Gemeinsam versuchten wir nun unsere Gastgeber zu finden, doch auch hier kannte sie keiner. Also spielten wir unsere Plan-B-Karte und fragten ganz unbedarft, ob sie wüssten wo wir alternativ unter kommen könnten. Zwei Minuten später bot uns der Bürgermeister ein Zimmer bei sich im Haus an. Wir waren gerade dabei uns freudig zu bedanken, da klingelte das Handy von Arne. Und drei Mal dürft ihr raten, wer dran war? Es war einer unserer verschollenen Gastgeber. Also brachen wir die Zelte ab und fuhren zu der islamischen Familie. Dort erwarteten uns Vater, Mutter, vier Söhne, zwei Frauen, zwei Kleinkinder und zwei Babys. Der Vater saß im Stuhl und rauchte, die Mutter machte alles sauber, die Frauen schaukelten die Babys, die Kleinkinder versteckten sich hinter ihren Röcken und die Söhne fingen an uns in Gespräche zu verwickeln. Das Haus war aus Bambus und Lehm und im Innenhof stand ein riesiger Mangobaum, der uns Schatten spendete. Zwischen unseren Füßen liefen hin und wieder Ziegen und Hühner umher und das “Badezimmer“ war ein aus Palmwedeln abgehängter Platz mit einer Pumpe (Foto). Natürlich haben die Nachbarn schnell mitbekommen dass wir da waren und kamen alle vorbei. Da alle Menschen in der Gegend der islamischen Gemeinschaft angehörten, war es für sie alle selbstverständlich zu kommen und zu gehen wie sie wollten, auch wenn es nicht das eigene Grundstück oder Haus war. Es war schön zu sehen wie entspannt sie alle zusammen lebten, aber für uns war es dann irgendwann doch zu viel. Die Brüder haben uns alle noch ihre Shops im fußläufig entfernten Markt gezeigt und unser Gastgeber wollte uns ständig mit Trinken, Snacks und Bonbons etwas Gutes tun. Der “Besucherandrang“ wollte gar nicht mehr aufhören und irgendwie hat Arne dann herausbekommen, dass einer der Brüder bei Facebook ein Video von uns hochgeladen hat und jetzt die ganzen Leute von nah und fern zu uns kamen. Selbst ein Reporter der Assam News kam vorbei, um mit uns ein Interview zu führen. Lange saßen wir noch draußen, haben gequatscht, Fragen beantwortet und Hände geschüttelt. Zum Abendessen haben sie ein großes Festmahl aufgetischt, welches die Frauen gemeinsam über dem Feuer gekocht haben. Schlafen durften wir unter dem Himmelbett der Eltern und da wurde auch kein Nein akzeptiert. Wir haben sehr gut geschlafen und morgens wurden wir mit dem uns all zu bekannten Gesang der Moschee geweckt und bekamen Tee und geröstetes Toast zum Frühstück. Verabschiedet wurden wir von einer großen Kindertraube, die noch lange versuchte neben uns her zu rennen. Ein letztes Winken, ein letztes Dankeschön und wir waren wieder für uns. ALLEINE.

Donnerstag, 4. Juli 2019

Friseurbesuche

Schon seit der Türkei gibt es für Frauen und Männer getrennte Friseursalons. Für die Männer sieht man sie überall, offen, gut besucht und an jeder Ecke. Wenn man als Frau zu einem Friseur möchte, muss man schon ganz genau hinschauen, denn die Räumlichkeiten sind gut versteckt, oft im Hinterhof oder im privaten Haus, verhängt, mit geschlossen Türen und einzig und allein mit einem Schild versehen, was darauf aufmerksam macht, dass sich dort ein Salon befindet. Am Anfang der Tour habe ich noch meine Haare selbst rasiert und Arne seinen Bart. Die Haare von Arne habe ich anfangs auch noch selbst geschnitten, doch dann wurde ein Friseurbesuch immer günstiger und es hat sich nicht mehr gelohnt es selbst zu machen. In Deutschland kostet ein Friseurbesuch etwa 20 Euro. In Indien kostet ein Friseurbesuch für uns beide, etwa 1 Euro/1,50 Euro. Das erste Mal, als ich zu einem Friseur gehen wollte, habe ich unseren Gastgeber gefragt, zu welchem Friseur ich denn gehen soll. Zum Frauen- oder Männersalon? Er war selbst etwas ratlos und wir entschieden uns dann für den Männersalon, da die gewiss schon öfter so kurze Haare geschnitten haben und die angemessenen Maschinen dafür haben. Bei den Frauen werden die Haare nur so kurz rasiert, wenn die Frau eine große Schande begangen hat und das Haarerasieren geschieht dann meist in der Familie. Wenn wir nun einmal im Monat gemeinsam zum Friseur gehen, läuft es meistens wie folgt ab. Zuerst versuchen wir unser Anliegen klar zu machen. Nämlich, dass wir BEIDE gerne unsere Haare bzw. Bart schneiden lassen wollen. Arne bekommt dann auch immer sehr schnell einen Stuhl zugewiesen und einer der Friseure macht sich ans Werk. Ich stehen dann immer noch einige Sekunden lang planlos im Raum und warte, bis auch ich einen Platz zugewiesen bekomme. Ich sage dann noch einmal zu dem zweiten Friseur, dass auch ich gerne meine Haare schneiden lassen würde und dann folgen einige Sekunden der Irritation. Ich weiß nicht mehr wie ich ihm klar machen soll, dass er meine Haare auch schneiden soll und der Friseur schaut mich einfach nur an und versucht noch irgendeinen Ausweg zu finden. Bei Arne fallen schon eifrig die Locken, während ich immer noch im Raum herum stehe. Endlich schaffe auch ich es mich auf einen Stuhl zu setzen. Und der Friseur fängt zögerlich an sich ans Werk zu machen. Erster Schritt: Umhang umlegen, dass macht der Friseur am liebsten, denn da weiß er was er machen muss. Zweiter Schritt: Haare schneiden. Dass macht er meistens nicht mehr so gerne, da er nicht weiß wie er das machen soll. Er fängt dann zögerlich an seitlich etwas wegzunehmen. Fragt mich, ob dass so gut ist und ich ermutige ihn nicht so zögerlich zu sein und noch ein gutes Stück wegzunehmen. Nach ein paar Minuten habe ich dann an den Seiten kurze Haare und oben noch längere. Ob es so gut ist werde ich dann gefragt. Ich ziehe an meinen Haaren und sage, dass sie oben noch länger sind als an der Seite und so fängt der Friseur erneut an zögerlich die Haare zu schneiden. Meist muss ich ihn noch ein paar Mal ermutigen noch mehr wegzunehmen. Der dritte Schritt ist: Die Rasur. Mit einem scharfen Rasiermesser, werden dann die Kanten glatt gemacht und ich bin überaus glücklich meine kurzen Haare wieder zu haben. Die Frisur sitzt jedes Mal sehr gut und ich bedanke mich bei dem Friseur, der sich erleichtert freut, alles richtig gemacht zu haben. Arne ist jedes Mal schon fertig und wartet darauf, dass wir das obligatorische Selfie machen und dann endlich nach Hause können. Keiner der Friseure hat je einer Frau den Kopf rasiert und einem 2,01m großem Kerl die Locken und den Bart geschnitten und so wollen sie daher für ihre Instagram Story ein Foto von uns. Auch die Nachbarn haben so etwas noch nie gesehen und müssen gleich mal schauen kommen. Aber das kennen wir ja schon. Als einmal nur Arne seinen Bart schneiden/rasieren lassen hat, konnte ich sehr gut dabei zuschauen wie ihm die Haare und der Bart geschnitten wurden. Ich war überrascht, ja fast erschrocken, was er da jedes Mal durch machte. Da wurde massiert, geschnitten, eingecremt, rasiert, gepudert, abgewischt, eingecremt, abgewischt, eingesprüht, abgetupft, massiert, rasiert und geschnitten und wieder eingecremt und abgewischt und eingesprüht und abgerieben. Jedes Mal wenn ich dachte, dass es jetzt vorbei ist, kam noch irgendetwas. Einmal sind wir aus dem Salon getreten und da hat Arne sich zu mir gebeugt und sein Auge weit aufgerissenen. “Siehst du irgendwo meine Kontaktlinse?“ hat er mich gefragt. “Nein“ war meine Antwort und da sagte er: “Dann hat mir der Friseur sie wohl aus dem Auge gewischt“. Und so sind wir halb blind nach Hause gestolpert. Ein anderes Mal habe ich nach dem Friseurbesuch Arne von vorne betrachtet und da war die Frisur ganz schräg. Doch bei genauerem hinsehen war es gar nicht das Gel, sondern der Schnitt. Arne war nämlich viel zu groß für den Friseurstuhl und der Friseur war viel zu klein für Arne und so musste Arne seinen Kopf zur Seite lehnen, damit der Friseur oben auf dem Kopf die Haare schneiden konnte. Und so kam es, dass Arne einen schrägen Haarschnitt hatte.

Inder und Nepalesen sind wahre Verladungskünstler

Montag, 1. Juli 2019

Eine Zugfahrt die ist lustig, eine Zugfahrt die ist schön

Eine Zugfahrt die ist lustig, eine Zugfahrt die ist schön, denn da kann man alles mögliche im Zugabteil seh'n. “Wasser, kaltes Wasser, nur 20 Rupi“. “Roti mit Gemüse, Roti“. Schon lange bevor der Zug hält konnte man an den Verkäufern erkennen, dass wir in einen Bahnhof einfuhren. Die Verkäufer sprangen jedes Mal auf den noch fahrenden Zug auf und liefen durch den Wagon und riefen, ja sie schrien fast durch die Abteile und priesen ihre Wahre an. Genauso verließen sie den Zug auch erst wieder als er schon auf über Schrittgeschwindigkeit hinaus beschleunigt hatte. Ruhe. Keine durch den Zug eilenden Verkäufer, die Tee, Kaffee, Softdrinks, Tücher, Essen, Gurken, Taschenlampen, Kuscheltiere, Snacks, Spielzeuge und T-Shirts anpriesen. Diese Ruhe dauerte genau so lange an, bis wir in den nächsten Bahnhof einfuhren und die Verkäufer wieder auf den Zug aufsprangen. Am Bahnhof konnte man ohne Bedenken aussteigen und sich die Füße vertreten, denn wenn der Zug abfuhr war immer noch genug Zeit zum aufspringen. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass die Türen nicht geschlossen werden (Foto) und man so einfach ein und aussteigen konnte, wann immer man wollte. Manche Menschen sind schon weit vor dem Bahnhof “ausgestiegen“, damit sie es nicht so weit nach Hause haben. Natürlich geht das nur, wenn der Zug sehr langsam fährt. Doch dies tut er oft. Überhaupt fährt der Zug nicht super schnell und für 400 km haben wir 10 Stunden gebraucht. Doch es war nicht unbequem, nicht zu heiß und wir hatten eine schöne Aussicht (Fotos). In einem Abteil standen sich jeweils zwei Sitzbänke gegenüber (so wie die abgetrennten Abteile im ICE) und oben drüber befanden sich Gepäckablagen, die oft aber als Schlafplatz genutzt wurden oder bei überfüllten Wagongs als zweite Sitzebene dienten. Die Fenster waren alle nach ganz unten gezogen und jedes Abteil hatte vier Ventilatoren. An frischer Luft mangelte es uns also nicht. Einzig und allein waren wir es nicht mehr gewöhnt so lange auf einer Sitzbank zu sitzen, aber auch das haben wir irgendwie gemanagt. So wie man auf Reisen so einiges lernt doch irgendwie zu managen.